Manche Bücher sollten besser Bücher bleiben: Rezension zu „Der Trafikant“ (2018)

„Man muss das Wasser nicht kennen, um hineinzuspringen“, erzählt Freud, gespielt von Bruno Ganz, dem Hauptdarsteller Franz Huchel vom Attersee (Simon Morzé). Doch sollte man nicht wenigstens schwimmen können, bevor man hineinspringt? 

Im Filmbusiness offensichtlich nicht. Denn der Film „Der Trafikant“, den wir als Q2-Deutschkurs analysieren durften und der eine Literaturverfilmung des vielfach gelobten Romans von Robert Seethaler (2012) darstellt, vermag leider nicht zu überzeugen: So kommen etwa Franz‘ Träume völlig unvermittelt und durchbrechen die Handlung an den unpassendsten Stellen. Beispielsweise so: 
Ein lauter Raum, Stimmengewirr, Schritte. Franz drängt sich durch die Menge an wartenden Menschen vorbei. Ein unfreundlicher Mann stempelt pausenlos auf Papiere ein, bis Franz vor seinem Tisch stehen bleibt und das Wort „ZUKUNFT“ auf die Stirn gestempelt bekommt. Soweit auch alles wie im Buch, doch mit einem Mal sind die Menschen verschwunden, nur Anezka, von Emma Drogunova gespielt, hält ihm einen Spiegel vor. Er liest von seiner Stirn ab; Anezka lässt den Spiegel fallen, der scheppernd zerbricht. Sie geht. Und mit ihr auch die Nähe der Handlung im Film zu ihrem literarischen Vorbild. Denn sowohl Franz' Träume, Gespräche und Verhaltensweisen zwischen Franz und den anderen Figuren als auch Vorstellungen, die Franz sich macht, sind nicht nur frei verändert, sondern auch frei erfunden. Auf diese Weise wird die Romanhandlung, die in ihrer Klarheit glänzt, in ein verwirrendes, unpassendes und aus dem Kontext gerissenes Areal gezogen, die besonders ein jüngeres Publikum verwirren dürfte. 

Denn bald fällt auf, wie sehr der Film Franz‘ sexuelle Erfahrungen, die logischerweise zum Erwachsenwerden dazugehören, auf die gesamte Handlung ausweitet. Eine solche Übersexualisierung von Franz' Umfeld wird alle Franze in unserer Welt schlichtweg verstören – daher auch die Altersempfehlung FSK 12. 
Der nun ja doch ältere Freud sogar gibt Franz Tipps rund ums Thema Frauen und ermutigt ihn, sich ein Mädchen zu suchen. Dabei verdrängt der berühmte Psychoanalyst den Trafikanten Otto Trsjnek (Johannes Krisch), der im Roman mindestens genauso wichtig für Franz' Entwicklung hin zur Mündigkeit ist, leider sogar fast vollständig von der Bildfläche. Warum sich Franz schließlich wie in der Vorlage für ihn aufopfert und an seiner Stelle verhaftet werden möchte, bleibt auf diese Weise für ein unbelesenes Publikum unklar. Leider. Denn besonders als Person, die Widerstand gegen die Nationalsozialisten leistet und sich gegen diese, im Film sogar eindeutig und von vornherein, stellt, kommt ihm eine bedeutende Vorbildfunktion zu. 

Dazu kommt die unverständliche Verwendung von Leitmotiven wie der Spinne oder dem Licht, das Franz durch eine Scherbe erzeugt, die sich beim Schauen niemand erklären kann. 

Aber was bleibt jetzt noch zu sagen? 
„Nix aber“, würde der Portier im Gestapo-Hauptgebäude in Wien dazu sagen. Doch muss man dem Regisseur Nikolaus Leytner lassen, dass die Entscheidung, die Briefe und Postkarten zwischen Franz und seiner Mutter beinahe Wort für Wort aus dem Roman zu übernehmen, dem Film wenigstens einen kleinen aber feinen Pluspunkt liefert. 
Und auch in Sachen Authentizität kann er mit den ansprechenden Settings und Requisiten punkten, denn die Atmosphäre in den Prater-Szenen oder in Freuds Wohnung ist so realistisch wie überzeugend für alle Burschis und Mädeln, wie der treu-österreichische Dialekt es ausdrücken würde. Schließlich rundet er die Inszenierung Wiens in den 1930er Jahren ab. 

Fazit? Für 2018 eine wirklich schlechte Umsetzung und ein weiterer Film, der sich in die Schlange der verunglückten Literaturverfilmungen einreihen kann, und das, obwohl Leytner die historische Atmosphäre nahezu erschreckend gut darstellt. Vielleicht sollte er sich zukünftig auf dokumentarische Werke fokussieren. 

Von Ursula Olpen (Q2)

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